VG Magdeburg: Zur Prozesskostenhilfe für die Abwehr eines Gebührenbescheids der Polizei für sog. Facebook-Party

veröffentlicht am 16. Dezember 2015

VG Magdeburg, Beschluss vom 1908.2015, Az. 7 A 655/13 MD
§ 114 S. 2 VwGO

Die Entscheidung haben wir auf unser Hauptseite www.damm-legal.de besprochen (hier); den Volltext halten wir für Sie nachstehend vor:


Verwaltungsgericht Magdeburg

Beschluss

In der Verwaltungsrechtssache

gegen

die Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Nord, vertreten durch den Polizeipräsidenten, Sternstraße 12, 39104 Magdeburg,
Beklagte,

Streitgegenstand: Kosten eines Polizeieinsatzes

hat das Verwaltungsgericht Magdeburg – 7. Kammer – am 19.08.2015 beschlos­sen:

Dem Kläger wird für das Klageverfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … bewilligt.

Gründe

Die beantragte Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … ist zu bewilligen, da der Kläger durch Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse dargelegt hat, dass er die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. §§ 166 VwGO, 114 Satz 1 ZPO).

Prozesskostenhilfe ist nach § 114 Satz 1 ZPO bereits dann zu gewähren, wenn nur „hinreichende“ Erfolgsaussichten für den beabsichtigten Rechtsstreit bestehen, wobei aus Gründen der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten insbesondere bei den von Fachgerichten zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten keine allzu überspannten Anfor­derungen zu stellen sind (BVerfG, Beschl. v. 07.04.2000 – 1 BvR 81/00 -, juris). Da das Gericht im Prozesskostenhilfeverfahren eine Prüfung der Sach- und Rechtslage auch nur vorläufig vorzunehmen hat und die Prüfung der Erfolgsaussichten nicht dazu die­nen soll, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vor zu verlagern, genügt eine sich bei summarischer Überprü­fung ergebende Offenheit des Erfolgs (BVerwG, Beschl. v. 08.03.1999 – 6 B 121/98 -, juris). Schwierige Tatsachen- oder noch nicht geklärte Rechtsfragen brauchen im Prozesskostenhilfeverfahren ebenfalls keiner Klärung zugeführt zu werden (BVerfG, Be­schI. v. 07.04.2000, a. a. 0.). Allerdings ist es erforderlich, dass mehr als eine nur theo­retische Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Klage spricht.

In Anlegung dieser Maßstäbe besteht – auch wenn der Prozesserfolg noch nicht gewiss ist – jedenfalls mehr als nur eine theoretische Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger mit seiner Klage gegen den Bescheid über die Erhebung von Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen der Polizei vom 30. September 2013 in der Gestalt des Abänderungsbescheides vom 29. Januar 2015 Erfolg haben könnte.

Durch die mit Schriftsatz der Beklagten vom 29. Januar 2015 verfügte teilweise Aufhe­bung des streitgegenständlichen Heranziehungsbescheides unter Herabsetzung der Gebührenforderung von 9.565,- € auf 3.500,- € dürfte der Klage zunächst jedenfalls im Hinblick auf die Teilaufhebung Erfolg beschieden sein.

Im Weiteren spricht vieles dafür, dass entgegen der Auffassung der Beklagten die Rechtslage hinsichtlich des abgeänderten Bescheides in gleicher Weise zu beurteilen ist wie im Urteil der Kammer vom 5. November 2013 (7 A 125/12 MD, nachgehend OVG LSA, Urt. v. 14.05.2014 – 3 L 354/13 -, juris). Auch in dem dort entschiedenen Fall war der streitgegenständliche Heranziehungsbescheid im Hinblick auf eine Maßnahme der Gefahrenabwehr zunächst unzutreffend auf die TarifsteIle 60 Ziffer 5 der AflGO LSA gestützt worden. Die auch dort von der Beklagten als Rechtsgrundlage herange­zogene Tarifsteile 60 Ziffer 5 der AIIGO LSA enthält jedoch keinen gebührenpflichtigen Tatbestand, welcher eine Amtshandlung bezeichnet. Denn er regelt als gebührenpflich­tigen Tatbestand nicht eine oder mehrere (bestimmte) Amtshandlung(en), sondern lediglich eine „Inanspruchnahme“ der Polizei, was offenbar durch Dritte geschehen soll. Mit dem Änderungsbescheid vom 29. Januar 2015 hat die Beklage die vom Kläger zu zahlende Gebühr von 9.565,- € auf 3.500,- € herabgesetzt und nunmehr den Bescheid auf die TarifsteIle 60 Ziffer 1 der AIIGO LSA gestützt, wonach für Maßnahmen der Gefahrenabwehr, wenn keine anderen Gebühren bestimmt sind, eine Rahmengebühr zu erheben ist. Die Beklagte hat jedoch den ursprünglichen Bescheid vom 30. September 2013 nicht durch den Bescheid vom 29. Januar 2015 vollständig ersetzt, sondern ledig­lich die Gebührenschuld herabgesetzt und eine Begründung zur Ausfüllung des in der TarifsteIle 60 Ziffer 1 vorgesehenen Gebührenrahmens abgegeben. Ansonsten ist der Bescheid vom 30. September 2013 ausdrücklich aufrechterhalten worden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten stellen die Ausführungen zum Ermessen im Bescheid vom 29. Januar 2015 keine zulässige Ergänzung der Ermessenserwägungen i. S. d. § 114 Satz 2 VwGO dar. § 114 Satz 2 VwGO schafft lediglich die prozessualen Voraussetzungen dafür, dass die Behörde defizitäre Ermessenserwägungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen kann, nicht hingegen dafür, dass sie ihr Ermes­sen nachträglich erstmals ausübt oder die Gründe einer Ermessensausübung (kom­plett oder doch in ihrem Wesensgehalt) ausgewechselt werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 01.06.2011 – 8 e 4.10 ., juris). Eine Ergänzung der Ermessenserwägungen ist daher nur zulässig, wenn die nachträglich angegebenen Gründe schon bei Erlass des Ver­waltungsakts vorlagen, diese Heranziehung keine Wesensänderung des angefochte­nen Verwaltungsakts bewirkt und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.06.2013 – 8 C 46.12 – , juris). Ein wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidriger Verwaltungsakt kann daher vom Gericht nicht geheilt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.01.1999 – 6 B 133.98 -, juris), Dies ist auch nicht im Wege einer Ergänzung nach § 114 Satz 2 VwGO möglich. Die Vorschrift setzt nämlich voraus, dass bereits vorher, bei der behördlichen Entscheidung, schon „Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes“ angestellt worden sind, das Ermessen also in irgendeiner Weise betätigt worden ist. Es stellt keine zulässige bloße Ergänzung bereits angestellter Ermessenserwägungen dar, wenn völlig neue Ermessensgesichtspunkte ins Feld geführt werden, die bei der ursprünglichen behörd­lichen Entscheidung ersichtlich keine Rolle spielten (vgl. BayVGH, Beschl. v. 13.11.2006 . 19 es 06.2383 – , juris). Eine – hier nicht einschlägige – Ausnahme hat das Bundesverwaltungsgericht lediglich in den Fällen angenommen, in denen sich wegen einer im materiellen Recht begründeten Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts der Beurteilung der Sach- und Rechtlage von der behördlichen zur gerichtlichen Entschei­dung hin aufgrund nachträglich eingetretener Umstände erstmals die Notwendigkeit einer Ermessensausübung ergibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 13.12.2011 – 1 C 14.10 -, juris zu § 53 AufenthG).

Sofern die Beklagte ausführt, dass im vorliegenden Fall kein Fall des Ermessensnicht­gebrauches vorliege, da bereits im Bescheid vom 30. September 2013 Ermessenser­wägungen angestellt worden seien, führt dies nicht zur Annahme, dass noch in zuläs­siger Weise Ermessenserwägungen ergänzt werden konnten. Die von der Beklagten in diesem Bescheid angestellten Erwägungen beziehen sich auf die Frage, ob der Kläger als sog. Zweckveranlasser zu der Amtshandlung i. S. d. § 5 Abs. 1 Satz 1 VwKostG LSA Anlass gegeben hat und für welche polizeilichen Handlungen der Kläger nach Auffassung der Beklagten Anlass gegeben hat. Wie sich aus der Begründung des Be­scheides vom 30. September 2013 ergibt, war der Umstand, dass gegenüber dem Kläger nicht die Gesamtkosten des Einsatzes in Höhe von 215.503,50 €, sondern nur die Kosten des Einsatzes im Bereich WilIy-Brandt-Platz in Magdeburg in Ansatz gebracht wurden, der Umstand, dass nur hinsichtlich dieses Einsatzbereiches der Kläger als Verantwortlicher angesehen worden war (S. 4 des Bescheides). Bei der Bestimmung der Gebührenhöhe wurde dann kein Ermessen ausgeübt, sondern an hand der in der TarifsteIle 60 Ziffern 5.1. und 5.2.2. der AIIGO LSA vorgegebenen festen Parameter (Zahl der Bediensteten x Zeiteinheit x Gebühr) anhand eines mathematischen Rechen­vorgangs die aus des Sicht der Beklagten zutreffende Gebührenhöhe ermittelt.

Ungeachtet der Frage, ob die Ausführungen der Beklagten im Bescheid vom 30. September 2013 ausreichend sind, um zu begründen, dass der Kläger als Zweckveranlasser und damit zutreffend als ordnungsrechtlich Verantwortlicher anzusehen ist (vgl. zur Rechtsfigur des Zweckveranlassers: BVerwG, Besohl. v. 12.04.2006 – 7 B 30.06 -, ju­ris, zu Zweckveranlassern bei sog. Facebook-Partys: Levin/Schwarz, DVBI. 2012, 10), ist das Ermessen hinsichtlich der Frage, inwieweit der Gebührenrahmen in Tarifsteile 60 Ziffer 1 der AIlGO LSA gemäß § 10 Abs. 1 VwKostG LSA auszufüllen ist, im vorge­nannten Bescheid nicht ausgeübt worden, da die Beklagte dort von der Anwendbarkeit der Tarifsteile 60 Ziffer 5 der AUGO LSA ausgegangen ist, welche kein Ermessen i. S. d. § 10 Abs. 1 VwKostG LSA eröffnet. Oie Fragen, welche Person unter mehreren in Betracht kommenden ordnungsrechtlichen Verantwortlichen als Kostenschuldner i. S. d. § 5 Abs. 1 Satz 1 VwKostG LSA herangezogen werden kann und wie der Gebühren­rahmen der Tarifsteile 60 Ziffer 1 der AIIGO LSA auszufüllen ist, sind nicht im Rahmen einer einheitlichen Ermessensausübung zu klären; vielmehr knüpfen die jeweiligen Ermessenstatbestände an unterschiedliche tatsächliche und rechtliche Fragen an.

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten unanfechtbar.