LG München I: Sofortige Sperre eines Händlerkontos mit nur pauschalen Begründung ist rechtswidrig

veröffentlicht am 4. Oktober 2021

LG München I, Beschluss vom 14.01.2021, Az. 37 O 32/21 § 32 ZPO , § 292 ZPO , § 925 Abs. 2 ZPO , § 936 ZPO, Art. 7 Nr. 2 EuGVVO, § 14 UWG, § 18 GWB , § 19 GWB , § 33 GWB, Art. 6 Abs. 3 Rom-II-VO, Art. 4 EU-VO 2019/1150

Die Kurzbeschreibung dieser Entscheidung finden Sie hier (LG München I: Sofortige Sperre eines Händlerkontos mit nur pauschalen Begründung ist rechtswidrig). Zum Volltext der Entscheidung:


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Landgericht München I

In dem Verfahren

gegen

Amazon Services Europe S.a.r.l., vertreten durch d. Geschäftsführer, 38 Avenue John F. Ken­nedy, 1855 Luxemburg, Luxemburg

– Antragsgegnerin –

wegen einstweiliger Verfügung

erlässt das Landgericht München j – 37. Zivilkammer – durch … am 14.01.2021 ohne mündliche Verhandlung wegen Dringlichkeit gemäß § 937 Abs. 2 ZPO folgenden

Beschluss

1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zum E 250.000,00 oder einer Ordnungshaft bis zum 6 Monaten – Ord­nungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann und zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin – wegen jeder Zuwiderhand­lung untersagt, das Amazon Verkäuferkonto …   der Antragstellerin zu deaktivieren und/oder diesbezüglich Angebote von der Amazon.de Website zu entfernen und/oder Guthaben auf dem Verkäuferkonto einzubehalten, und/oder diese Handlungen und/oder eine dieser Handlungen durch Dritte vornehmen zu lassen, wie geschehen bei dem der Deaktivierung am 09.12.2020 zugrunde liegenden Sachverhalt, d.h. ohne konkrete Benennung der als miss­bräuchlich oder falsch eingestuften Kundenbewertungen und ohne die Gelegenheit für die Antragsstellerin, zu den konkreten Sachverhalten Stellung zu nehmen.

2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 100.000,00 EUR festgesetzt.

Mit dem Beschluss ist zuzustellen:

Antragsschrift vom 07.01.2021

Gründe:

I.

Wegen des Sachverhaltes wird auf die Antragsschrift vom 07.01.2021 sowie die damit vorgeleg­ten Anlagen Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin ist Betreiberin der Plattform Amazon-Marketplace unter www.amazon.de. Es handelt sich um eine Online-Verkaufsplattform, auf der Dritthändler nach Eröffnung eines Ver­käuferkontos ihre Waren online an Endverbraucher verkaufen können.

Die Antragstellerin, ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz, ist Inhaberin des Verkäuferkontos unter der Bezeichnung auf der Handelsplattform www.amazon.de (Anlage …). Sie vertreibt auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland u.a. Nahrungsergänzungs- und Schön­heitsmittel, nach ihrem Vortrag im Jahr 2020 über die Plattform der Antragsgegnerin mit einem Umsatz von EUR 802.110,45.

Für das Verkäuferkonto gelten die allgemeinen Geschäftsbedingungen, vorgelegt als Anlage …, mit Stand vom 01.01.2021.

Unter Ziffer“ 17. Verschiedenes“ heißt es:

„Dieser Vertrag einschließlich aller seiner Bedingungen unterliegt dem Recht des Großher­zogtums Luxemburg ohne sich auf die Regelungen des internationalen Privatrechts oder des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Verträge über den intemationalen Wa­renkauf (CISG) auszuwirken. Jede Streitigkeit, die sich auf irgendeine Art und Weise auf die Nutzung der Programme oder dieses Vertrages bezieht, wird von den Gerichten von Luxemburg Stadt, Luxemburg verhandelt werden, als nicht ausschließlicher Gerichtsstand.

Amazon behält sich das Recht vor, Transaktionen mit sofortiger Wirkung zu stoppen, den Zugang zu den Programmen zu verhindern oder einzuschränken oder beliebige andere Handlungen zu ergreifen, um den Zugang zu oder die Verfügbarkeit von unkorrekten Lis­tungen, falsch kategorisierten Artikeln, illegalen Artikeln oder Artikeln, die gemäß den an­zuwendenden Programmrichtlinien anderweitig verboten sind, einzuschränken.“

In den ergänzenden Programmbedingungen heißt es unter der Überschrift:

„API • 3.1. Kündigung ihres Zugangs zu den Verkaufspartner – APls und den API-Materialienu:

„Ohne die Rechte und Pflichten der Parteien gemäß dieser Vereinbarung, der Marketplace Developer Vereinbarung oder der Marketplace API Lizenzvereinbarung einzuschränken, können wir Ihren Zugang zu den Verkaufspartner APls und den AP/-Materialien ohne An­gabe eines Grundes mit einer vorherigen Frist von 30 Tagen einschränken, aussetzen oder kündigen. Wir können mit sofortiger Wirkung kündigen, wenn (A) wir feststellen, dass sie einen wesentlichen Verstoß gegen diese Vereinbarung begangen und es ver­säumt haben, diesen Verstoß innerhalb von 7 Tagen nach einer Mitteilung über den Ver­stoß zu beheben; (8). Sie oder ihr Konto an irreführenden, betrügerischen oder unrecht­mäßigen Aktivitäten beteiligt waren; oder (C) ihre Nutzung der Verkaufspartner APls und der API-Materialien unsere Kunden schädigen könnte.“

Am 22.07.2020 erhielt die Antragstellerin über das Verkäuferkommunikationsportal folgende Mittei­lung (Anlage …) :

.•… Unseren Informationen zufolge haben Sie eventuell eine Vergütung für Kundenrezen­sionen angeboten.“ (Anlage …).

Die Deaktivierung des Kontos wurde angedroht. Eine gleichlautende Mitteilung erfolgte am 06.08.2020 (Anlage …). Am 09.12.2020 erhielt die An­tragstellerin folgende Mitteilung:

„Ihr Verkäuferkonto bei Amazon.de wurde vorübergehend deaktiviert. Ihre Angebote wurden von unserer Website entfernt. Guthaben werden nicht an Sie ausgezahlt, sondern bleiben auf Ihrem Konto, während wir mit Ihnen an der Lösung dieser Angelegenheit arbeiten.

Warum ist das passiert?

Wir haben uns wegen manipulierter Produktbewertungen an sie gewendet. Da Sie weiter­hin Produktrezensionen manipulieren, dürfen Sie derzeit nicht bei Amazon.de verkaufen.“

Die Antragstellerin reagierte hierauf mit Schreiben an die Antragsgegnerin vom 14.12.2020 (Anlage ….). Die Antragstellerin erhielt hierauf keine Reaktion. Sie übersandte ein gleichlautendes Schreiben an die Amazon Services Deutschland GmbH am 21.12.2020 (Anlage …). Hierauf erging am 23.12.2020 eine Antwort per E-Mail (Anlage …). Dort heißt es unter anderem:

„Wir haben uns den Sachverhalt angeschaut und dürfen zur Erklärung auf die Nachricht unserer Kollegen vom 09.12.2020 verweisen. Wir nehmen auf diese Ausführung sowie die Aussagen des Verkäuferservices Bezug …. „.

Die Antragstellerin trägt vor, sie habe auf die Vorwürfe nicht eingehen und diese widerlegen kön­nen, da sie keine manipulierten Käuferrezensionen veranlasst habe. Die Antragsgegnerin habe nicht begründet, was sie der Antragstellerin konkret vorwerfe. Die Antragstellerin verweist darauf, dass auch andere Verkäufer die Produkte aus dem Programm der Antragsstellerin auf der On­lineplattform der Antragsgegnerin anbieten. Hierfür könne sie nicht verantwortlich gemacht wer­den.

Die Antragstellerin beruft sich auf den Tatbestand der gezielten Behinderung gemäß § 4Nr. 4 UWG. Die Deaktivierung des Verkäuferkontos der Antragstellerin stelle eine geschäftliche Hand­lung im Sinne des § 2 Abs. 1 UWG dar, die den Eigenhandel der Amazon EU S.a.r.l. unmittelbar begünstige, da auf dieser Plattform vergleichbare Produkte vertrieben werden. Durch die Sper­rung des Kontos sei der Geschäftsbetrieb der Antragstellerin vollständig lahmgelegt worden. Die Beeinträchtigung sei unangemessen, da die Antragstellerin am Markt nichts mehr habe absetzen können.

Die Antragstellerin beruft sich darauf, die Antragsgegnerin verfüge über eine erhebliche Marktmacht im Sinne der §§ 19 Abs. 2, 20 Abs. 3 GWB. Zur Glaubhaftmachung nimmt die Antragstellerin auf eine Pressemitteilung des Bundeskartellamts vom 29.11.2018 Bezug (…). Weiter be­ruft sie sich auf die Einleitung eines Verfahrens vor der EU-Kommission zur E-Commerce-Ge­schäftspraxis der Antragsgegnerin und die dazu ergangenen Mitteilungen (Pressemitteilung der EU Kommission vom 10.11.2020 Anlage …) sowie auf Pressemitteilungen des Bundeskar­tellamts zur Einleitung eines Missbrauchsverfahrens gegen Amazon vom 29.11.2018 (Anlage …) und zum Jahresbericht 2019/2020 vom 02.09.2020 (Anlage …). Die Gesamtwürdi­gung aller Umstände unter Berücksichtigung der Marktrnacht der Antragsgegnerin und der Exis­tenzgefährdung der Antragstellerin lasse die durch die Sperrung bewirkte Behinderung als unbillig erscheinen.

Weiter trägt die Antragsstellerin vor, es handele sich zugleich um ein verbotenes Verhalten ge­mäß §§ 19 Abs. 2 Nr. 1, 20 Abs. 3 S. 1 GWB. Ein Unterlassungsanspruch bestehe daher auch gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 GWB. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes im Miss­brauchsverfahren hätten ausreichend Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass Amazon über eine marktbeherrschende Position verfüge. Es greife auch die Vermutung gemäß § 18 Abs. 4, Abs. 5 GWB. Jedenfalls sei Amazon als ein Unternehmen mit relativer bzw. überlegener Marktmacht im Sinne des § 20 Abs. 1 S. 1 GWB zu qualifizieren. Ihre marktbeherrschende Stellung nutze die An­tragsgegnerin missbräuchlich aus, indem sie die Antragstellerin unbillig behindere. Die Deaktivie­rung des Verkäuferkontos ohne erkennbare Tatsachengrundlage stelle einen existenzbedrohen­den Zustand her und sei unbillig. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin ei­ne individuelle Korrespondenz zur Lösung des Problems verweigere. Die Antragsgegnerin stelle außerdem kein geeignetes Beschwerdemanagementverfahren im Sinne von Art. 11 Abs. 2 Ver­ordnung (EU) 2019/1150 zur Verfügung.

Zum Verfügungsgrund trägt die Antragstellerin vor, sie habe am 09.12.2020 die Deaktivierung ih­res Verkäuferkontos zur Kenntnis genommen.

II.

Über den Antrag war gemäß § 937 Abs. 2 ZPO wegen der besonderen Dringlichkeit im Be­schlusswege zu entscheiden. Dabei waren zum einem die Auswirkungen auf den Geschäftsbe­trieb der Antragstellerin, der Anspruch auf rechtliches Gehör und der voraussichtliche zeitliche Ab­lauf im Falle einer Terminierung zu berücksichtigen, wobei für die Terminierung auch die beson­deren Anforderungen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung angesichts der Maßnah­men zur Eindämmung der Coronapandemie in Rechnung zu stellen waren, die wegen der Ver­fügbarkeit eines größeren Sitzungssaales und/oder der Videoanlage und etwaigen Schwierigkei­ten der Anreise zu einer Verzögerung führen können sowie die damit verbundenen Infektionsrisi­ken. Diese Aspekte wurden mit dem grundsätzlichen Anspruch auf eine mündliche Verhandlung abgewogen. Die Antragsgegnerin wurde durch die Antragstellerin über den Streitgegenstand in­formiert und abgemahnt. Eine vorherige Anhörung durch das Gericht war daher nicht zwingend veranlasst.

III.

Das Landgericht München I ist zur Entscheidung über den Antrag international und örtlich zustän­dig. Da die Antragsgegnerin in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union ansässig ist, ist die EuGWO anwendbar. Die internationale Zuständigkeit folgt aus Art. 7 Nr. 2 EuGWO. Für die Qua­lifizierung der Ansprüche als unerlaubte Handlung ist dabei auf den Vortrag der Antragstellerin ab­zustellen. Sowohl der geltend gemachte kartell rechtliche Anspruch, als auch der Anspruch aus UWG sind nach autonomer Auslegung im Sinne der Verordnung als deliktisch zu qualifizieren. Dem steht nicht entgegen, dass zwischen den Parteien eine Vertragsbeziehung besteht (EUGH. Urteil vom 24.11.2020 – C – 59/19 Tz 33, NZKart 2020, 669). Bei der Verkaufsplattform Amazon.de-Marketplace handelt es sich um ein Angebot, das sich in erster Linie an Kunden auf dem deutschen Markt richtet. Der Ausschluss von einzelnen Verkäufern, gleich welchen Sitzlandes, kann daher den Wettbewerb auf dem deutschen Endkundenmarkt beeinträchtigen. Mit der Beein­trächtigung des Wettbewerbes auf dem deutschen Mark ist das schädigende Ereignis jedenfalls auch in Deutschland eingetreten.

Die örtliche Zuständigkeit folgt für den kartellrechtlichen Anspruch aus § 32 ZPO, da sich die Marktbeeinträchtigung auch im Bezirk des Landgerichts München I ausgewirkt haben kann und für den lauterkeitsrechtlichen Anspruch aus § 14 Abs. 2 UWG in der Fassung vom 26.11.2020, da die Antragsgegnerin im Inland keinen allgemeinen Gerichtsstand hat.

IV.

Ein Verfügungsanspruch der Antragstellerin auf Unterlassung der Deaktivierung ihres Verkäufer­kontos ohne vorherige ausreichende Information und Anhörung zu den Gründen folgt aus § 33 Abs. 1 GWB i. V. m. § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB. Gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB liegt ein Missbrauch insbesondere vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager ei­ner bestimmten Art von Waren oder gewerblicher Leistungen ein anderes Unternehmen unmittel­bar oder mittelbar unbillig behindert.

1. Mit der für das Verfügungsverfahren notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit kann eine marktbeherrschende Stellung der Verfügungsbeklagten auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt festgestellt werden. Der sachlich relevante Markt ist im vorliegenden Fall der Markt für die Erbringung von Dienstleistungen von Onlinemarktplätzen gegenüber Onlinehändlern. Auf diesem Markt bieten Plattformbetreiber gegenüber Händlern als Dienstleistung die Anzeige und Abwicklung von Verkaufsangeboten an. Nicht zu diesem sachlich relevanten Markt gehören Preisvergleichsportale oder Internetseiten der einzelnen Händler. In geografischer Hinsicht ist auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschlandabzustellen. Die Plattform der Antragsgegnerin wen­det sich zwar auf der Verkäuferseite an internationale Händler, auf der Käuferseite dagegen ganz überwiegend an deutsche, jedenfalls deutschsprachige Endkunden (Fall bericht Bundeskartellamt vom 17.07.2019 82 – 88/18, S. 10 f.). Von einem Verbraucherverhalten, das auf internationalen Plattformen nach Angeboten sucht, kann nicht ausgegangen werden (vgl. hierzu Landgericht Frankfurt a. M., Urteil vom 12.02.2013 – 3 – 06 0 94/18, GRUR-RS 2019,50007, Tz 43 – 55). Ein Händler, der seine Produkte auf dem deutschen Markt online über eine Plattform vertreiben möch­te. hat folglich nur eine geringe Auswahl, wobei über die Antragsgegnerin eine besonders hohe Kundenzahl erreicht werden kann (Fallbericht Bundeskartellamt vom 17.07.2019 82 – 88/18, S. 11.

Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass die Antragsgegnerin auf diesem sachlich und räumlich relevanten Markt eine marktbeherrschende Stellung hat. Sie hat sich hierzu auf die Er­mittlungen des Bundeskartellamtes zu den Amazon-Nutzungsbedingungen aus dem Jahr 2018 und 2020 bezogen, sowie auf Ermittlungen der EU-Kommission aus dem Jahr 2020. Zwar hat das Bundeskartellamt in seinem Fallbericht vom 17.07.2019, B2 – 88/18. S. 11, zu den Ama­zon-Geschäftsbedingungen ausdrücklich offen gelassen, ob Amazon eine marktbeherrschende Bestellung zukommt. Hierzu seien keine vertieften und abschließenden Ermittlungen geführt wor­den. Gleichwohl hat das Bundeskartellamt noch Im Jahr 2020 erneut ein Verfahren gegen Ama­zon eröffnet, auch die EU-Kommission geht in ihrer Pressemitteilung vom 10.11.2020 (Anlage …) beiläufig und eher selbstverständlich von der beherrschenden Stellung der Antragsgeg­nerin im Bereich der Marktplatzdienste in Frankreich und Deutschland aus. In dem Fallbericht vom 17.07.2019 wird darüber hinaus auf Branchenstudien Bezug genommen, wonach ein hoher Anteil des deutschen Onlinehandels von deutlich mehr als 40 % allein über den Marktplatz Ama­zon.de abgewickelt werde. Auch bei einer Gesamtwürdigung der Umstände und der allgemeinen Bedeutung der Amazonplattform für den Online-Handel in Deutschland spricht der erste Anschein für die marktbeherrschende Stellung.

2. Die Antragsgegnerin hat durch die Deaktivierung des Verkäuferkontos ohne zureichende Informa­tion über die Gründe die Antragstellerin unbillig behindert. Angesichts der marktbeherrschenden Stellung ist die Antragsgegnerin in ihrer Entscheidung über Aufnahme und Beendigung von Ge­schäftsbeziehungen auf ein diskriminierungsfreies und von sachlichen Erwägungen getragenes Verhalten beschränkt. Diesen Anforderungen hat das Verfahren zur vorläufigen Deaktivierung des Verkäuferkontos der Antragsstellerin nicht genügt. Zwar mag die Antragsgegnerin einen begrün­deten Verdacht für die Manipulation von Produktbewertungen und damit für ein pflichtwidriges Ver­halten haben, welcher grundsätzlich geeignet ist, eine Beendigung der Geschäftsbeziehung zu rechtfertigen. Da sie kein angemessenes Verfahren zur Anhörung der Antragsstellerin gewähr­leistet hat, steht die Deaktivierung jedoch einer anlass- und begründungs/osen Sperrung gleich.

In den Mitteilungen der Antragsgegnerin an die Antragsstellerin vom 22.07.2020 (Anlage …), 06.08.2020 (Anlage …) und 09.12.2020 (Anlage …) wird zwar als Begründung angeführt, die Antrags­stellerin habe eventuell eine Vergütung für Kundenrezensionen angeboten bzw. sie habe Produkt­bewertungen manipuliert. Es fehlen aber Angaben dazu, welcher Sachverhalt konkret beanstandet wird. Die Antragsstellerin wird durch die bloße Bezeichnung der „eventuellen“ Pflichtverlet­zung nicht in die Lage versetzt, hierzu substantiiert Stellung zu nehmen und sich gegenüber dem Vorwurf zu verteidigen.

Die sofortige Sperrung von Konten ohne Begründung war ausweislich des Fallberichts des Bun­deskartellamtes vom 17.07.2019 82 – 88/18, S. 4, einer der kritischen Punkte. die Anlass für das Missbrauchsverfahren gegeben hatten. In der dort referierten Vereinbarung mit Amazon wurde ei­ne Informations-und Begründungspflicht auch bei außerordentlichen Kündigungen und Sperrun­gen wegen Gefährdungen und Rechtsverletzungen versprochen, wobei Ausnahmen zum Schutz der Kontrollsysteme der Antragsgegnerin vorgesehen sind. Auch nach diesen Maßstäben reicht der pauschale Hinweis auf eventuell manipulierte Produktbewertungen nicht aus. Es ist nicht er­kennbar, dass bereits die konkrete Beschreibung des als pflichtwidrig beanstandeten Verhaltens geeignet sein könnte, das Kontrollsystem zu gefährden.

Auf ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen kann sich die Antragsgegnerin nicht berufen. Sie enthalten keine hier einschlägige konkrete Regelung für das Verfahren, welches einer vorläufigen oder endgültigen Kontosperrung voranzugehen hat.

Die Antragsstellerin hat einen Anspruch auf Unterlassung des missbräuchlichen Verhaltens. Eine Deaktivierung des Kontos setzt die ordnungsgemäße Anhörung voraus. Diese umfasst neben der angemessenen Information über die Vorwürfe auch die Erwägung der Stellungnahme vor einer Entscheidung und ggf. die Mitteilung der wesentlichen Gründe.

V. Der Verfügungsgrund folgt aus der Bedeutung des Verkäuferkontos für die Umsätze der Antrags­steIlerin. Aus der Folgenabwägung ergibt sich daher, dass der Antragsstellerin nicht zuzumuten ist, bis zu einer möglichen Entscheidung in der Hauptsache den Zustand. der nach der vorläufl­gen Bewertung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit überwiegender Wahrschein­lichkeit rechtswidrig ist. hinzunehmen. Die Dringlichkeit wurde nicht durch ein zu langes Abwarten widerlegt. Die Antragsstellerin war nicht gehalten, bereits auf die Androhung der Sperrung hin ein gerichtliches Verfahren einzuleiten. Angesichts des offenen Verlaufs konnte sie die tatsächliche Sperrung des Kontos am 09.12.2020 abwarten.

VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.