EuGH, Urteil vom 07.08.2018, Az. C-485/17
Art. 2 Nr. 9 EU-RL 2011/83
Zum Volltext der Entscheidung s. unten; eine Zusammenfassung finden Sie auf unserer Hauptseite (EuGH – Messestand kann „Geschäftsraum“ sein, so dass bei Messeverkauf nicht auf Widerrufsrecht hingewiesen werden muss).
Haben Sie eine Abmahnung wegen fehlender Widerrufsbelehrung erhalten?
Droht Ihnen eine Abmahnung, eine einstweilige Verfügung oder eine Unterlassungsklage? Wir prüfen gern für Sie, ob ihre fernabsatzrechtlichen Informationen rechtmäßig sind oder beraten Sie, wenn Sie deswegen bereits zur Unterlassung aufgefordert wurden. Rufen Sie uns gleich an: 04321 / 390 550 oder 040 / 35716-904. Schicken Sie uns Ihre Unterlagen gern per E-Mail (info@damm-legal.de) oder per Fax (Kontakt). Die Erstprüfung von Unterlagen und unsere Ersteinschätzung ist für Sie kostenlos. Rechtsanwalt Dr. Damm ist als Fachanwalt für IT-Recht mit dem Fernabsatzrecht bestens vertraut (Gegnerliste) und hilft Ihnen zeitnah, die für Sie beste Lösung zu finden.
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
In der Rechtssache C‑485/17
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 13.07.2017, beim Gerichtshof eingegangen am 10.08.2017, in dem Verfahren
Verbraucherzentrale Berlin e.V.
gegen
Unimatic Vertriebs GmbH
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung …
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
…
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011, L 304, S. 64).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Verbraucherzentrale Berlin e.V. (im Folgenden: Verbraucherzentrale) und der Unimatic Vertriebs GmbH (im Folgenden: Unimatic), in dem es um die Belehrung über das Widerrufsrecht des Verbrauchers im Rahmen eines Messekaufs geht.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
In den Erwägungsgründen 4, 5, 7, 21, 22 und 37 der Richtlinie 2011/83 heißt es:
„(4) … Die Harmonisierung bestimmter Aspekte von im Fernabsatz und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verbraucherverträgen ist unabdingbar, wenn ein echter Binnenmarkt für Verbraucher gefördert werden soll, in dem ein möglichst ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei gleichzeitiger Wahrung des Subsidiaritätsprinzips gewährleistet ist.
(5) … [D]ie vollständige Harmonisierung der Verbraucherinformation und des Widerrufsrechts in Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, [dürfte] zu einem hohen Verbraucherschutzniveau und zum besseren Funktionieren des Binnenmarkts … beitragen.
…
(7) Die vollständige Harmonisierung einiger wesentlicher Aspekte der einschlägigen Regelungen sollte die Rechtssicherheit für Verbraucher wie Unternehmer erheblich erhöhen. … Darüber hinaus sollten die Verbraucher in den Genuss eines hohen, einheitlichen Verbraucherschutzniveaus in der gesamten Union kommen.
…
(21) Ein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag sollte definiert werden als ein Vertrag, der bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers an einem Ort, der nicht zu den Geschäftsräumen des Unternehmers gehört, geschlossen wird, also beispielsweise in der Wohnung oder am Arbeitsplatz des Verbrauchers. Außerhalb von Geschäftsräumen steht der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck oder ist einem Überraschungsmoment ausgesetzt, wobei es keine Rolle spielt, ob der Verbraucher den Besuch des Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht. Die Begriffsbestimmung für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sollte auch Situationen einschließen, in denen der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen persönlich und individuell angesprochen wird, der Vertrag aber unmittelbar danach in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder über Fernkommunikationsmittel geschlossen wird. … Käufe während eines vom Unternehmer organisierten Ausflugs, in dessen Verlauf die erworbenen Erzeugnisse beworben und zum Verkauf angeboten werden, sollten als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge gelten.
(22) Als Geschäftsräume sollten alle Arten von Räumlichkeiten (wie Geschäfte, Stände oder Lastwagen) gelten, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhnlich ausübt. Markt- und Messestände sollten als Geschäftsräume behandelt werden, wenn sie diese Bedingung erfüllen. Verkaufsstätten, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, beispielsweise während der Fremdenverkehrssaison an einem Skiort oder Seebadeort, sollten als Geschäftsräume angesehen werden, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesen Geschäftsräumen für gewöhnlich ausübt. Der Öffentlichkeit zugängliche Orte wie Straßen, Einkaufszentren, Strände, Sportanlagen und öffentliche Verkehrsmittel, die der Unternehmer ausnahmsweise für seine Geschäftstätigkeiten nutzt, sowie Privatwohnungen oder Arbeitsplätze sollten nicht als Geschäftsräume gelten. …
…
(37) … Bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen sollte dem Verbraucher aufgrund des möglichen Überraschungsmoments und/oder psychologischen Drucks das Recht auf Widerruf zustehen. Der Widerruf des Vertrags sollte die Verpflichtung der Parteien beenden, den Vertrag zu erfüllen.“
Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnen die Ausdrücke
…
8. ‚außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossener Vertrag‘ jeden Vertrag zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher,
a) der bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers an einem Ort geschlossen wird, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist;
b) für den der Verbraucher unter den unter Buchstabe a genannten Umständen ein Angebot gemacht hat;
c) der in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder durch Fernkommunikationsmittel geschlossen wird, unmittelbar nachdem der Verbraucher an einem anderen Ort als den Geschäftsräumen des Unternehmers bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Unternehmers und des Verbrauchers persönlich und individuell angesprochen wurde; oder
d) der auf einem Ausflug geschlossen wird, der von dem Unternehmer in der Absicht oder mit dem Ergebnis organisiert wurde, dass er für den Verkauf von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen beim Verbraucher wirbt und entsprechende Verträge mit dem Verbraucher abschließt;
9. ‚Geschäftsräume‘
a) unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, oder
b) bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt;
…“
Art. 5 der Richtlinie regelt die „Informationspflichten bei anderen als Fernabsatzverträgen oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“.
Art. 6 („Informationspflichten bei Fernabsatz- und außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen“) der Richtlinie 2011/83 bestimmt in seinem Abs. 1:
„Bevor der Verbraucher durch einen Vertrag im Fernabsatz oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, informiert der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise über Folgendes:
…
h) im Falle des Bestehens eines Widerrufsrechts die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung dieses Rechts gemäß Artikel 11 Absatz 1 sowie das Muster-Widerrufsformular gemäß Anhang I Teil B;
…“
Art. 7 („Formale Anforderungen für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge“) dieser Richtlinie sieht in seinem Abs. 1 vor:
„Bei Verträgen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen werden, stellt der Unternehmer die in Artikel 6 Absatz 1 vorgeschriebenen Informationen dem Verbraucher auf Papier oder, sofern der Verbraucher dem zustimmt, auf einem anderen dauerhaften Datenträger bereit. Diese Informationen müssen lesbar und in klarer und verständlicher Sprache abgefasst sein.“
Art. 9 („Widerrufsrecht“) Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Sofern nicht eine der Ausnahmen gemäß Artikel 16 Anwendung findet, steht dem Verbraucher eine Frist von 14 Tagen zu, in der er einen Fernabsatz- oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag ohne Angabe von Gründen und ohne andere Kosten als in Artikel 13 Absatz 2 und Artikel 14 vorgesehen widerrufen kann.“
Deutsches Recht
Die Richtlinie 2011/83 wurde mit dem Gesetz vom 20. September 2013 zur Umsetzung der Verbraucherrechterichtlinie und zur Änderung des Gesetzes zur Regelung der Wohnungsvermittlung (BGBl. I S. 3642) in deutsches Recht umgesetzt.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Unimatic ist eine Vertriebsgesellschaft, die u. a. auf der jährlich in Berlin (Deutschland) stattfindenden Messe Grüne Woche Produkte verkauft. Ausweislich der Vorlageentscheidung setzt sie ihre Produkte ausschließlich auf Messen ab.
Am 22. Januar 2015 bestellte ein Kunde am Stand von Unimatic auf der genannten Messe einen Dampfstaubsauger zum Preis von 1 600 Euro. Unimatic belehrte diesen Kunden nicht darüber, dass nach deutschem Recht im Einklang mit Art. 9 der Richtlinie 2011/83 ein Widerrufsrecht bestehe.
Nach Ansicht der Verbraucherzentrale hätte Unimatic den Kunden über das Bestehen eines Widerrufsrechts informieren müssen, da der Kaufvertrag außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossen worden sei.
Deshalb erhob die Verbraucherzentrale beim Landgericht Freiburg (Deutschland) Klage, mit der sie Unimatic auf Unterlassung des Verkaufs ihrer Produkte ohne Belehrung der Verbraucher über deren Widerrufsrecht in Anspruch nahm.
Das Landgericht Freiburg wies die Klage ab, und auch die Berufung der Verbraucherzentrale vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe (Deutschland) blieb ohne Erfolg.
Die Verbraucherzentrale legte daraufhin Revision beim vorlegenden Gericht, dem Bundesgerichtshof (Deutschland), ein.
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dem Wortlaut der Bestimmungen der Richtlinie 2011/83 lasse sich nicht entnehmen, nach welchen Kriterien zu beurteilen sei, inwieweit der Unternehmer in einem konkreten Fall seine Tätigkeit in Gewerberäumen „für gewöhnlich“ im Sinne des Art. 2 Nr. 9 Buchst. b dieser Richtlinie ausübe.
Insoweit komme es in Anbetracht insbesondere des 22. Erwägungsgrundes der Richtlinie 2011/83 einerseits in Betracht, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass sich der Unternehmer einer bestimmten Verkaufsmethode für gewöhnlich bediene, d. h., dass er seine Produkte in Gewerberäumen regelmäßig und nicht nur gelegentlich verkaufe.
Andererseits stünde bei diesem Ansatz dem Verbraucher, der ein Produkt erwerbe, das auf einer Messe von einem Unternehmer zum Verkauf angeboten werde, der ein „stationäres“ Ladengeschäft unterhalte, in dem er dieses Produkt, das er nur gelegentlich auf Messen anbiete, für gewöhnlich verkaufe, das Widerrufsrecht im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/83 zu, während der Verkauf durch einen anderen Unternehmer, der seine Produkte für gewöhnlich auf Messen verkaufe und kein stationäres Ladengeschäft unterhalte, nicht als „außerhalb von Geschäftsräumen“ erfolgt gelte und somit kein Widerrufsrecht nach Art. 9 der Richtlinie begründe.
Nach einer anderen vom vorlegenden Gericht dargestellten Auffassung soll es für die Frage, ob der Vertrag außerhalb der „Geschäftsräume“ im Sinne des Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 geschlossen worden sei, nicht darauf ankommen, wie der Unternehmer seine Vertriebstätigkeit organisiere. Vielmehr sei dafür auf die Art des verkauften Produkts abzustellen. Handle es sich um ein Produkt, das typischerweise auf Messen verkauft werde, sei davon auszugehen, dass der Verbraucher, wenn er die betreffende Messe besuche, damit rechnen müsse, dass ihm ein solches Produkt zum Kauf angeboten werde. Bei anderen Arten von Produkten, mit deren Angebot der Verbraucher auf der Messe nicht habe rechnen können, sei dagegen für seinen Schutz zu sorgen. Diese Auffassung beruhe auf dem Zweck des von der Richtlinie 2011/83 vorgesehenen Widerrufsrechts, der darin bestehe, den Verbraucher vor dem übereilten Abschluss eines Vertrags in einer überraschenden Situation oder unter psychischem Druck zu schützen.
Bei dem in der vorstehenden Randnummer geschilderten Ansatz komme es auf die Erwartungen und die Sicht des Verbrauchers an. Insoweit könnten einerseits die Erwartungen berücksichtigt werden, die der Verbraucher zu dem Zeitpunkt habe, zu dem er sich zum Messebesuch entschließe. Diese Erwartungen gründeten dann auf den Informationen über die auf der Messe angebotenen Waren oder Dienstleistungen. Nach anderer Auffassung wäre für die Zwecke der Auslegung des Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 eher auf die konkreten Umstände abzustellen, unter denen der Vertrag auf der Messe abgeschlossen werde.
Vor diesem Hintergrund hat der Bundesgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Handelt es sich bei einem Messestand in einer Halle, den ein Unternehmer während einer für wenige Tage im Jahr stattfindenden Messe zum Zweck des Verkaufs seiner Produkte nutzt, um einen unbeweglichen Gewerberaum im Sinne von Art. 2 Nr. 9 Buchst. a der Richtlinie 2011/83 oder um einen beweglichen Gewerberaum im Sinne von Art. 2 Nr. 9 Buchst. b der Richtlinie 2011/83?
2. Für den Fall, dass es sich um einen beweglichen Gewerberaum handelt:
Ist die Frage, ob ein Unternehmer seine Tätigkeit „für gewöhnlich“ auf Messeständen ausübt, danach zu beantworten,
a) wie der Unternehmer seine Tätigkeit organisiert oder
b) ob der Verbraucher mit dem Vertragsschluss über die in Rede stehenden Waren auf der konkreten Messe rechnen muss?
3. Für den Fall, dass es bei der Antwort auf die zweite Frage auf die Sicht des Verbrauchers ankommt (Frage 2 b):
Ist bei der Frage, ob der Verbraucher mit dem Vertragsschluss über die konkreten Waren auf der in Rede stehenden Messe rechnen muss, darauf abzustellen, wie die Messe in der Öffentlichkeit präsentiert wird, oder darauf, wie die Messe sich dem Verbraucher bei Abgabe der Vertragserklärung tatsächlich darstellt?
Zu den Vorlagefragen
Mit seinen zusammen zu prüfenden Fragen möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass ein Messestand eines Unternehmers wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, an dem der Unternehmer seine Tätigkeiten an wenigen Tagen im Jahr ausübt, unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne dieser Bestimmung fällt.
Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2011/83 „Geschäftsräume“ in ihrem Art. 2 Nr. 9 Buchst. a zum einen als unbewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit dauerhaft ausübt, und in ihrem Art. 2 Nr. 9 Buchst. b zum anderen als bewegliche Gewerberäume, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit für gewöhnlich ausübt, definiert.
Der 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 führt dazu näher aus, dass als Geschäftsräume alle Arten von Räumlichkeiten wie Geschäfte, Stände oder Lastwagen gelten sollen, an denen der Unternehmer sein Gewerbe ständig oder gewöhnlich ausübt.
Somit hat der Unionsgesetzgeber vorgesehen, dass Geschäftsräume unbewegliche oder bewegliche Gewerberäume sein können, wenn die Tätigkeit des Unternehmers dauerhaft oder für gewöhnlich ausgeübt wird.
Die Richtlinie 2011/83 definiert nicht, was unter einer „dauerhaft“ oder „für gewöhnlich“ ausgeübten Tätigkeit zu verstehen ist, und verweist für die genaue Bedeutung dieser Ausdrücke auch nicht auf die nationalen Rechtsordnungen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt aus dem Erfordernis der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts, dass eine Unionsvorschrift, soweit sie für einen bestimmten Begriff nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten muss, die unter Berücksichtigung nicht nur des Wortlauts der betreffenden Vorschrift, sondern auch ihres Kontexts und des mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgten Ziels gefunden werden muss (Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM, C‑395/16, EU:C:2018:172, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Daher sind die in Art. 2 Nr. 9 Buchst. a und b der Richtlinie 2011/83 enthaltenen Begriffe für die Zwecke der Anwendung dieser Richtlinie als autonome Begriffe des Unionsrechts anzusehen, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt werden müssen.
Insoweit ist erstens festzustellen, dass bei Tätigkeiten eines Unternehmers, die an einem auf einer Messe für einige Tage im Kalenderjahr eingerichteten Stand wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ausgeübt werden, nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie „dauerhaft“ in der üblichen Bedeutung dieses Ausdrucks ausgeübt werden.
Zweitens ist zum Ausdruck „für gewöhnlich“ festzustellen, dass er in seiner herkömmlichen Bedeutung als Verweis entweder auf eine gewisse zeitliche Beständigkeit der fraglichen Tätigkeit oder auf die Üblichkeit der Ausübung dieser Tätigkeit in der betreffenden Räumlichkeit verstanden werden kann. Die Bedeutung dieses Ausdrucks im gewöhnlichen Sprachgebrauch ermöglicht deshalb für sich genommen noch keine eindeutige Auslegung.
Allerdings ist der Umstand, dass ein Unternehmer seine Tätigkeiten dauerhaft oder für gewöhnlich in „Geschäftsräumen“ im Sinne des Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 ausübt, maßgeblich für den Umfang des Verbraucherschutzes, den diese Richtlinie vorsieht.
Zum einen sehen nämlich die Art. 6 und 7 der Richtlinie 2011/83 Informationspflichten und formale Anforderungen bei „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen“ im Sinne des Art. 2 Nr. 8 dieser Richtlinie vor. Außerdem gewähren die Art. 9 bis 16 der Richtlinie dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach Abschluss eines solchen Vertrags und regeln die Voraussetzungen und Modalitäten der Ausübung dieses Rechts. Zum anderen nimmt die Definition des „außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags“ auf den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne von Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 Bezug.
Das Ziel der in der vorstehenden Randnummer genannten Bestimmungen wird insbesondere im 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 ausgeführt, wo es heißt, dass der Verbraucher außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers möglicherweise psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist, wobei es keine Rolle spielt, ob er den Besuch des Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht. Insoweit wollte der Unionsgesetzgeber auch Situationen einschließen, in denen der Verbraucher außerhalb von Geschäftsräumen persönlich und individuell angesprochen wird, der Vertrag aber unmittelbar danach in den Geschäftsräumen des Unternehmers oder über Fernkommunikationsmittel geschlossen wird.
Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber den Schutz des Verbrauchers, was außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge betrifft, deshalb für den Fall vorgesehen hat, dass sich der Verbraucher bei Vertragsabschluss nicht in einer vom Unternehmer dauerhaft oder für gewöhnlich genutzten Räumlichkeit befindet, weil er der Ansicht war, dass der Verbraucher, wenn er sich von sich aus in eine solche Räumlichkeit begibt, damit rechnen kann, vom Unternehmer angesprochen zu werden, so dass er dann danach nicht mit Erfolg geltend machen kann, dass er vom Angebot dieses Unternehmers überrascht worden sei.
Außerdem ist daran zu erinnern, dass der Begriff „Geschäftsräume“ schon in Art. 1 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. 1985, L 372, S. 31) vorkam, die durch die Richtlinie 2011/83 aufgehoben und ersetzt wurde.
Im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 85/577 hieß es, dass Verträge, die außerhalb der Geschäftsräume eines Gewerbetreibenden abgeschlossen werden, dadurch gekennzeichnet sind, dass die Initiative zu den Vertragsverhandlungen in der Regel vom Gewerbetreibenden ausgeht und der Verbraucher auf die Vertragsverhandlungen nicht vorbereitet ist und häufig keine Möglichkeit hat, Qualität und Preis des Angebots mit anderen Angeboten zu vergleichen. Klargestellt wurde dort ferner, dass es dieses Überraschungsmoment nicht nur bei Haustürgeschäften gibt, sondern auch bei anderen Verträgen, die auf Initiative des Gewerbetreibenden außerhalb seiner Geschäftsräume abgeschlossen werden.
Unter Berücksichtigung namentlich dieses vierten Erwägungsgrundes der Richtlinie 85/577 entschied der Gerichtshof in den Rn. 34 und 37 des Urteils vom 22. April 1999, Travel Vac (C‑423/97, EU:C:1999:197), dass der Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne dieser Richtlinie die Geschäftsräume bezeichnete, in denen der Gewerbetreibende gewöhnlich seine Tätigkeit ausübt und die deutlich als öffentliche Verkaufsräume gekennzeichnet sind.
Da sich aus dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 ergibt, dass diese mit dem Begriff „Geschäftsräume“ ebenfalls auf die Örtlichkeiten abzielt, an denen für den Verbraucher der Umstand, dass er zu kommerziellen Zwecken angesprochen wird, kein Überraschungsmoment darstellt, behalten die Erkenntnisse, die jenem Urteil des Gerichtshofs zur Auslegung der Richtlinie 85/577 zu entnehmen sind, ihre Relevanz auch für die Zwecke der Auslegung des gleichen Begriffs im Sinne der Richtlinie 2011/83.
In Anbetracht dieser und der oben, in Rn. 34 angestellten Erwägungen ist der Ausdruck „für gewöhnlich“ im Sinne von Art. 2 Nr. 9 Buchst. b der Richtlinie 2011/83 als Verweis auf die Üblichkeit der Ausübung der in Rede stehenden Tätigkeit in der betreffenden Räumlichkeit zu verstehen.
Diese Auslegung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich Art. 2 Nr. 9 Buchst. a der Richtlinie 2011/83 für unbewegliche Räumlichkeiten auf gewerbliche Tätigkeiten bezieht, die vom betreffenden Unternehmer nicht „für gewöhnlich“, sondern „dauerhaft“ ausgeübt werden. Bei solchen Räumlichkeiten wird nämlich der Umstand an sich, dass die betreffende Tätigkeit dort dauerhaft ausgeübt wird, zwangsläufig bedeuten, dass sie sich für einen Verbraucher als „üblich“ oder „gewöhnlich“ darstellen wird. In Anbetracht der Dauerhaftigkeit, die die in solchen Geschäftsräumen ausgeübte Tätigkeit aufweisen muss, kann der Verbraucher von der Art Angebot, die ihm dort etwa gemacht wird, nicht überrascht werden.
Was genauer eine Situation wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende betrifft, in der ein Unternehmer seine Tätigkeiten an einem Messestand ausübt, ist daran zu erinnern, dass Markt- und Messestände, wie im 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 ausgeführt, als Geschäftsräume behandelt werden sollen, wenn sie diese Bedingung erfüllen.
Aus diesem Erwägungsgrund geht auch hervor, dass Verkaufsstätten, in denen der Unternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, beispielsweise während der Fremdenverkehrssaison an einem Skiort oder Seebadeort, als Geschäftsräume angesehen werden sollen, wenn der Unternehmer seine Tätigkeit in diesen Geschäftsräumen für gewöhnlich ausübt. Dagegen sollen der Öffentlichkeit zugängliche Orte wie Straßen, Einkaufszentren, Strände, Sportanlagen und öffentliche Verkehrsmittel, die der Unternehmer ausnahmsweise für seine Geschäftstätigkeiten nutzt, sowie Privatwohnungen oder Arbeitsplätze nicht als Geschäftsräume gelten.
Demnach ist für die Frage, ob ein Messestand in einem bestimmten Fall unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne des Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 zu subsumieren ist, das konkrete Erscheinungsbild dieses Standes aus Sicht der Öffentlichkeit zu berücksichtigen und genauer, ob er sich in den Augen eines Durchschnittsverbrauchers als ein Ort darstellt, an dem der Unternehmer, der ihn innehat, seine Tätigkeiten, einschließlich saisonaler, für gewöhnlich ausübt, so dass ein solcher Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen kann, dass er, wenn er sich dorthin begibt, zu kommerziellen Zwecken angesprochen wird.
Relevant ist hierbei die Wahrnehmung durch den Durchschnittsverbraucher, d. h. einen normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher (vgl. entsprechend Urteile vom 30. April 2014, Kásler und Káslerné Rábai, C‑26/13, EU:C:2014:282, Rn. 74, vom 26. Oktober 2016, Canal Digital Danmark, C‑611/14, EU:C:2016:800, Rn. 39, und vom 20. September 2017, Andriciuc u. a., C‑186/16, EU:C:2017:703, Rn. 47).
In diesem Zusammenhang ist es Sache des nationalen Gerichts, das Erscheinungsbild, das der betreffende Stand dem Durchschnittsverbraucher bietet, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände rund um die Tätigkeiten des Unternehmers und insbesondere der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen zu beurteilen. Die Dauer der jeweiligen Messe ist insoweit für sich genommen nicht ausschlaggebend, da der Unionsgesetzgeber, wie dem 22. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 zu entnehmen ist, darauf abgestellt hat, dass die Räumlichkeiten, an denen der Unternehmer seine Tätigkeit saisonal ausübt, „Geschäftsräume“ im Sinne des Art. 2 Nr. 9 dieser Richtlinie darstellen können.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass ein Messestand eines Unternehmers wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, an dem der Unternehmer seine Tätigkeiten an wenigen Tagen im Jahr ausübt, unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 Nr. 9 der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass ein Messestand eines Unternehmers wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, an dem der Unternehmer seine Tätigkeiten an wenigen Tagen im Jahr ausübt, unter den Begriff „Geschäftsräume“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn in Anbetracht aller tatsächlichen Umstände rund um diese Tätigkeiten und insbesondere des Erscheinungsbilds des Messestandes sowie der vor Ort auf der Messe selbst verbreiteten Informationen ein normal informierter, angemessen aufmerksamer und verständiger Verbraucher vernünftigerweise damit rechnen konnte, dass der betreffende Unternehmer dort seine Tätigkeiten ausübt und ihn anspricht, um einen Vertrag zu schließen, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.