VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 28.09.2015, Az. 1 S 1124/15
§ 35 Abs. 1 GemO BW, § 38 Abs. 2 S.4 GemO BW
Die Entscheidung wird von uns hier kurz besprochen und im Folgenden im Volltext wiedergegeben:
Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg
Beschluss
In der Verwaltungsrechtssache
…
gegen
Stadt Heidelberg – Rechtsamt -, vertreten durch den Oberbürgermeister, Kornmarkt 1, 69117 Heidelberg
…
wegen Herausgabe von Tonaufnahmen
hier: Antrag auf Zulassung der Berufung
hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg durch … am 28.09.2015 beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 15.04.2015 – 4 K 374/14 – wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Überlassung von Audio-Dateien einer öffentlichen Sitzung des Gemeinderats der Stadt Heidelberg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: § 38 Abs. 2 Satz 4 GemO gewähre kein Recht auf Übermittlung von Tonaufzeichnungen einer Gemeinderatssitzung, sondern gestatte den Einwohnern lediglich die Einsichtnahme in eine Niederschrift über die öffentlichen Sitzungen des Gemeinderats. Bei einer Tonaufnahme handle es sich nicht um eine Niederschrift in diesem Sinne. Ein Anspruch auf Überlassung der Tonaufnahmen ergebe sich auch nicht aus dem vom Kläger angeführten Demokratieprinzip. Der Grundsatz der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen entspringe dem allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie. Der Zweck der Anordnung der Öffentlichkeit, nämlich die handelnde Staatsgewalt einer Kontrolle in Gestalt des Einblicks der Öffentlichkeit zu unterziehen, werde jedoch durch die Gewährleistung einer Saalöffentlichkeit erreicht. Ton- bzw. Bildaufnahmen könnten das Verhalten der Aufgenommenen beeinflussen. Es bestehe jedoch ein Interesse daran, dass die Willensbildung des Gemeinderats als demokratisch legitimierter Gemeindevertretung ungezwungen, freimütig und in aller Offenheit verlaufe. Aus dem Informationsfreiheitsgesetz könne der Kläger ebenfalls keinen Anspruch herleiten, da dieses nur für Bundesbehörden gelte. Zudem stünden der Übersendung datenschutzrechtliche Bestimmungen entgegen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seinem Zulassungsantrag, dem die Beklagte entgegengetreten ist.
II.
1.
Der rechtzeitig gestellte Zulassungsantrag, mit dem der Kläger lediglich auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug nimmt und ergänzend ausführt, das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG mit seinem Transparenzgebot habe Vorrang gegenüber dem Datenschutzinteresse der Gemeinderäte, soweit diese in Ausübung ihres Amtes in öffentlicher Sitzung handelten, ist bereits unzulässig.
Nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind, wenn die Zulassung der Berufung beantragt wird, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Für eine diesen Anforderungen genügende Darlegung eines oder mehrerer Berufungszulassungsgründe ist es zwar nicht notwendig, dass die Kläger ausdrücklich eine der in § 124 Abs. 2 VwGO normierten Ziffern oder die dort angeführten tatbestandlichen Voraussetzungen benennen. Erforderlich ist jedoch eine Durchdringung und Aufarbeitung des Falles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht am Maßstab der angefochtenen Entscheidung. Die Begründung muss sich mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts substantiiert auseinandersetzen. Fehlt es daran, ist der Zulassungsantrag unzulässig und zu verwerfen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 22.07.2015 – 9 ZB 13.2581 – juris Rn. 6, m.w.N.; OVG Bln.-Bbg., Beschl. v. 21.08.2015 – 10 N 17.14 – juris Rn. 3f., m.w.N.; Stuhlfauth, in: Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 124a Rn. 82).
Einen der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO macht der Kläger nicht ausdrücklich geltend. Sein Vorbringen behauptet keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten, formuliert keine grundsätzlich bedeutsame Rechts- oder Tatsachenfrage, benennt keine divergierende obergerichtliche Entscheidung und behauptet auch keinen Verfahrensfehler. Das Zulassungsvorbringen lässt sich folglich nur dahin auslegen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht werden.
Die Darlegung ernstlicher Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO er-fordert, dass ein die Entscheidung des Verwaltungsgerichts tragender Rechtssatz oder eine für diese Entscheidung erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 – 1 BvR 830/00 – VBlBW 2000, 392; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 03.05.2011 – 10 S 354/11 – VBlBW 2011, 442). Dazu müssen zum einen die angegriffenen Rechtssätze oder Tatsachenfeststellungen – zumindest im Kern – zutreffend herausgearbeitet werden (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 11.08.1999 – 6 S 969/99 – juris). Zum anderen sind schlüssige Bedenken gegen diese Rechtssätze oder Tatsachenfeststellungen aufzuzeigen, wobei sich der Darlegungsaufwand im Einzelfall nach den Umständen des jeweiligen Verfahrens richtet (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 11.08.1999, a.a.O., und v. 27.02.1998 – 7 S 216/98 – VBlBW 1998, 378 m.w.N.), insbesondere nach Um-fang und Begründungstiefe der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Daran fehlt es hier, so dass der Antrag unzulässig ist. Im Hinblick auf das Demokratieprinzip hat das Verwaltungsgericht ausführlich dargelegt, dass der Zweck der Anordnung der Öffentlichkeit, nämlich die handelnde Staatsgewalt einer Kontrolle in Gestalt des Einblicks der Öffentlichkeit zu unterziehen, durch die Gewährleistung einer Saalöffentlichkeit erreicht werde, dass Ton- bzw. Bildaufnahmen das Verhalten der Aufgenommenen beeinflussen könnten und dass ein Interesse daran bestehe, dass die Willensbildung des Gemeinderats ungezwungen erfolge. Damit setzt sich der Zulassungsantrag in keiner Weise auseinander. Auch das mit dem Zulassungsantrag in Bezug genommene erstinstanzliche Vorbringen des Klägers verhält sich zu diesen Fragen überhaupt nicht. Die schlichte Behauptung, aus dem Demokratieprinzip folge ein Anspruch auf Überlassung von Tonaufnahmen und das Datenschutzinteresse der Gemeinderäte müsse demgegenüber zurückstehen, enthält daher keine hinreichende Darlegung ernstlicher Zweifel i.S.v. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
2.
Der Zulassungsantrag wäre jedenfalls auch unbegründet. Denn es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
Das Demokratieprinzip enthält den Grundsatz, dass Informationen, die für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung von Bedeutung sind, zugänglich sein müssen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit besagt jedoch noch nichts zu den Modalitäten, unter denen Öffentlichkeit hergestellt wird. Der Verfassungsgrundsatz der Demokratie bedarf daher näherer Ausformung durch das Gesetz. Dies gilt auch für die Bestimmung der Voraussetzungen und Modalitäten der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen (vgl. zu Gerichtsverhandlungen: BVerfG, Beschl. v. 24.01.2001 – 1 BvR 2623/95 u.a. – BVerfGE 103, 44; BVerwG, Urt. v. 01.10.2014 – 6 C 35.13 – NJW 2015, 807). Der Gesetzgeber muss bei der Ausgestaltung der Vorschriften über Gemeinderatsitzungen Stellung und Befugnisse des Gemeinderats, die Funktion der Gemeinderatssitzungen sowie die Interessen der an einer Gemeinderatssitzung Teilnehmenden berücksichtigen. Dabei hat er zugrunde zu legen, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auch Amtsträger, und zwar nicht nur für Informationen mit privatem, sondern auch für solche mit amtsbezogenem Inhalt schützt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.06.2004 – 3 C 41.03 – BVerwGE 121, 115; HessVGH, Urt. v. 23.02.2012 – 8 A 1303/11 – ESVGH 62, 182; OVG NRW, Beschl. v. 27.06.2012 – 5 B 1463/11 – DVBl. 2012, 1137). Der Gesetzgeber darf bei seiner Entscheidung, wie er die Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen regelt, dem Schutz der freien, durch Aufnahmen unbeeinträchtigten Willensbildung im Gemeinderat Bedeutung beimessen (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.08.1990 – 7 C 14.90 – BVerwGE 85, 283 mit zust. Anm. Bethge, JZ 1991, 306). Er ist daher grundsätzlich befugt, die Öffentlichkeit auf die im Raum der Gemeinderatssitzung Anwesenden zu beschränken. Eine derart beschränkte Öffentlichkeit genügt dem rechtsstaatlichen Interesse der öffentlichen Kontrolle (vgl. zu Gerichtsverhandlungen: BVerfG, Beschl. v. 24.01.200, a.a.O.; zu Gemeinderatssitzungen: Saarl. OVG, Beschl. v. 30.08.2010 – 3 B 203/10 – juris Rn. 33ff.).
Hier hat der Gesetzgeber den Grundsatz der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen (§ 35 Abs. 1 GemO) und das Einsichtsrecht der Einwohner in die Protokolle der Sitzungen (§ 38 Abs. 2 Satz 4 GemO) normiert. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen diese Ausformung des Öffentlichkeitsprinzips verfassungswidrig sein soll und warum allein die Aufnahme und Zugänglichmachung von Audiodateien von öffentlichen Gemeinderatssitzungen die rechtmäßige Entscheidung des Gesetzgebers, die widerstreitenden Interessen in Ausgleich zu bringen, sein soll.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Änderung und Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Auf die Entscheidung hingewiesen hat die Online-Zeitschrift jurpc.de.